Man sagt, der Weg ins Paradies wäre ein steiniger, das lässt hoffen, denn kleinere Felsbrocken liegen genug herum auf der Straße durch die düstere Schlucht. Eng geschmiegt an die Felswand, einige roh ausgehauene Tunnels, tief unten ein Gebirgsfluss, dann ein kleines Stauwerk mit einer Handvoll Häuser. Vorbei an einem Gasthof, offenbar geschlossen, ein "A vendre" Schild im Fenster, geht es weiter, düster ist es, trotz des makellos blauen Himmels, den man in dem tiefen Schlund nur erahnen kann.
Immer wieder trifft man in den Alpen auf solche Schluchten, die - oft nur wenige Meter breit - trotzdem den einzigen ganzjährig begeh- oder befahrbaren Zugang zu ganzen Tallandschaften ermöglichen, deren Ausdehnung und Vielfalt man sich angesichts des engen Zugangs zunächst gar nicht vorstellen kann.
In diesem Fall handelt es sich um den Fluss Guil, der oberhalb des Ortes Ristolas entspringt, im Queyras, wie die Tallandschaft in den französischen Seealpen und auch der dortige Nationalpark genannt wird. Eine Handvoll Ortschaften finden sich dort, ganzjährigen Zugang bietet nur die oben beschriebene Straße durch die Schlucht Comb du Queyras, im Sommer kann man den Weg nach Briancon auch über den Col d´Izoard abkürzen oder über den Col d´Agnel ins italienische Val Varaita gelangen. Der Guil mündet bei Guillestre in die Durance, welche im Gemeindegebiet von Montgenevre entspringt und nach etwa 320 Kilomenter südlich von Avignon in die Rhone mündet.
Es ist Freitag, der 5. März 2010 und wir sind auf dem Weg ins Unbekannte, in den kleinen Ort Abries im östlichsten Teil des Queyras, obwohl uns unser grober Reiseplan eigentlich irgendwo in die Gegend der 3 Täler führen hätte sollen. Doch schlechtes Wetter im Norden und Hoffnung auf Powder im Südosten haben unsere Pläne geändert, die Straßenkarte hat eine Liftanlage in Abries gezeigt und dann haben wir uns an starlis Bericht vom Jänner erinnert, in dem er Abries und insbesondere St. Veran so gelobt hat. Deshalb geht es heute nicht durch den Frejus-Tunnel in die Maurienne, sondern das Hotelzimmer in Monetier les Baines wurde nochmals verlängert und wir fahren nun gespannt durch die düstere Schlucht.
Diverse Wetter-Seiten im Web haben im Bereich des Monte Viso erhebliche Neuschneemengen angeführt, einen Teil davon haben wir am Vortag im Gebiet von Montgenevre genossen, allerdings bei wechselndem Wetter.
Blauer Himmel und strahlende Sonne haben uns aber nun auf dem Weg von Briancon nach Guillestre begleitet und auch die spärlichen Ausblicke aus der Schlucht eröffnen in der Ferne weiß glitzernde Hänge und Bergspitzen. Vorbei an einer aus einem Märchen entsprungenen Burganlage, dem Chateau Queyras, geht es, dann weitet sich das Tal langsam und bei Ville Vielle verlassen wir die "Hauptstraße" zum Col d´Agnel und passieren Aiguilles, dessen Höhenschigebiet zwar in den Regionsprospekten noch angeführt wird, aber leider seit kurzem geschlossen ist, die Zubringer-DSB wurde bereits abgebaut.
Zwar lassen sich im Tal noch keine wesentlichen Neuschneemengen erkennen, aber Sonne und wolkenloser Himmel verbreiten gute Stimmung, insbesondere der in Monetier les Baines erhebliche kalte Nordwind ist hier nicht zu spüren. Endlich, nach einer Fahrzeit von einer guten Stunde, treffen wir in dem kleinen Ort Abries ein, eine sympatisch wirkende Häusergruppe, ein paar kleine Hotels, zwei Sportgeschäfte und etwas außerhalb in Richtung Ristolas, schließlich die Talstation einer kuppelbaren 6-er KSB. Richtige Parkplätze gibt es nicht, geparkt wird links und rechts der Straße, nahezu ausnahmslos sind es Autos mit französischem Kennzeichen, Ausländer dürften dieses Gebiet (mit Ausnahme unseres starli) bisher nicht entdeckt haben.
23 Euro kostet die Tageskarte, billig im Vergleich zu den größeren Schigebieten, die wir in den letzten Tagen besucht haben. Schnell sind wir an der Bergstation der KSB, von wo aus man zwei annährend paralelle Stangenschlepper zur Auswahl hat. Und nun läßt sich bereits starlis Begeisterung für dieses Gebiet nachvollziehen, die Pisten scheinen angenehm trassiert in lockerem Lärchenwald und wirken ziemlich leer.
Diese Piste ist vergleichsweise schon "überfüllt"!
Allerdings wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass wir heute eigentlich fast nicht auf den Pisten unterwegs sein werden (obwohl sie sich, wie wir in den kurzen Pistenpassagen merken, aufgrund der perfekten Präparierung, der idealen Trassierung und der praktisch fehlenden humanen Störfaktoren ausgesprochen gut zum Power-Carven eignen).
Unser Blick wird zunächst von einem angenehm geneigten Südwesthang eingefangen, oberhalb der Mittelstation ist deutlich mehr Schnee gefallen als im Tal und Spuren finden sich nur vereinzelt, dafür erkennen wir einen Ziehweg, der offenbar vom dritten (vom Tal aus gesehen linken) Stangenschlepper erschlossen wird.
Einige Schwünge im schon etwas verspurten Gelände neben dem eben benützten Lift, dann ein paar gecarvte lines auf der Piste nach rechts und eine Fahrt mit dem linken Schlepper bringen uns auf den erwähnten Ziehweg und Helmut ist schon unterwegs nach unten.
Auch Sabine wirkt sehr beglückt.
Und wieder Helmut!
Einfach nett!
Wieder benützen wir den linken Lift, auf dem kúrzem Aufstieg zum Ziehweg gleitet unser Blick nach links ab und entdeckt verlockend wirkende Spuren in einem Hang, der augenscheinlich im Rahmen eines Aufstiegs von der Bergstation des mittleren Lifts erreicht werden kann.
Doch vorher steht noch einmal die Befahrung des ersten Hanges am Programm, hier läßt sich der Verfasser ablichten.
Helmut am Werk!
Nachdem die Felle im Auto liegen, carven wir die harte, aber griffige Talabfahrt hinunter und statten uns entsprechend aus, mit dem mittleren Lift erreicht man die größte Höhe und von hier aus geht es mit dem Colltex-Express weiter. Dankenswerter Weise haben unsere Vorgänger eine hübsche Spur angelegt.
Ich finde, Aufstiegsbilder haben eine ganz besondere Ästhetik, deshalb bleibe ich immer wieder zurück und tobe mich aus.
Tief unten im Tal erkennt man noch die Schneisen eines der abgebauten Lifte von Ristolas, das ehemalige Pistengelände wurde offenbar auch schon von Tourengängern verwendet.
Ohne Worte!
Wir haben den Kamm erreicht und blicken nun auf die Nordseite. Diese Hänge sind es, die vor uns liegen, ganz unten im Tal erkennt man einen kleinen Alm-Weiler, an dem unsere Abfahrt enden wird.
Der obere Teil des hinter dem erschlossenen Berg gelegenen Tales, auch hier jede Menge Tourenmöglichkeiten, wir erkennen in der Ferne auch eine Gruppe, wahrscheinlich die Tourengänger, die ihren Tag mit der vor uns liegenden Abfahrt begonnen haben und dann einen zweiten - längeren - Aufstieg gemacht haben.
Doch wir haben die geeignete Einfahrtsmöglichkeit noch nicht erreicht und müssen entlang des Kammes noch ein wenig Aufsteigen.
Dann taucht er auf: 3841 Meter hoch, südlichster Berg der Alpen mit mehr als 3500 Meter Höhe, der Monte Viso. Um mehr als 500 Meter überragt er seine Nachbarn in den Cottischen Alpen, an seiner Ostseite finden sich de Quellen des Po.
Näher, erreichbarer und vor allem für uns relevanter sind jedoch diese Hänge.
Blick nach Westen in Richtung Talausgang.
Und wieder der Monte Viso!
Hinter der nächsten Kuppe ist der ideale Platz zum Einfahren in den Hang.
Für Sabine geht es gleich los!
Was soll man da noch sagen?
Langsam erreichen wir die Baumgrenze.
Der Blick zurück erfüllt uns mit Befriedigung.
Doch es liegt noch schönes lichtes Waldgelände vor uns.
Nicht nur Schi-Spuren finden sich hier.
Fast schon im Talgrund queren wir einen Graben, und auf der Sonnseite wird der Schnee für eine kurze Strecke etwas anspruchsvoll.
Durch den Graben geht es dann weiter hinaus.
Und wir erreichen die kleine Almsiedlung.
Blick zurück zu unserer Abfahrt.
Hier treffen wir auch auf die Hintenrum-Abfahrt, die in einem flachen Ziehweg weiter talauswärts bis zur Siedlung Le Roux führt.
Hier besteigen wir nach kurzem Warten einen Schibus (Navette ski), der alle halbe Stunde zurück zur Talstation fährt. (Mittagspause von 12:30 bis 14:30). In Abries fällt mir eine weit oberhalb des Ortes gelegene kleine Kirche auf.
Dann machen wir eine kurze Mittagspause in der Hütte an der Sesselbahn-Bergstation (Sabine und Helmut)
Am gegenüberliegenden Grat entdecken wir die oberste Liftstation des leider geschlossenen Gebiets von Aiguilles.
Der Vollständigkeit halber benützen wir nun den ganz rechts gelegenen Lift, dessen Pisten aber auch mit dem mittleren Stangenschlepper erreichbar sind.
Auch diese Abfahrten sind leer, werden aber ebenfalls von uns links (bzw. rechts) liegengelassen.
Unser Vormittagshang, immer noch genügend Platz für neue Spuren.
Was kann schöner sein?
Naja, vielleicht Schifahren im Wald?
So verbringen wir den Rest des Nachmittags und dann geht es in entgegengesetzter Richtung durch die Schlucht wieder zurück ins Tal der Durance und in unser Hotel in Monetier.
Da der Nordwind eher zugelegt hat, ist unser Plan für den Samstag rasch festgelegt, noch einmal wollen wir ins Queyras, für den Vormittag steht eine Wiederholung der Variantenabfahrt samt zugehörigen Aufstieg auf dem Programm und so stehen wir nun wieder - nach einem deutlich windigeren und kälteren Aufstieg als gestern - in der kleinen Scharte am Ausgangspunkt der Abfahrt.
Heute eine Zoom-Aufnahme der Almsiedlung
Im obersten Teil ist der Schnee nun stark windgepresst, aber trotzdem gut zu fahren.
Im Wald wird es aber bald besser und die Bedingungen sind wieder ideal.
Helmut äußert den Verdacht, dieser Wald wäre von einem Schifahrer designt worden, selbst in den dichteren Passagen findet sich genug Platz zwischen den Bäumen.
Die "schwierigste" Passage der Abfahrt am nach Süden gerichteten Gegenhang im Graben.
Obwohl der Schneefall nun schon 2 Tage zurückliegt, hätten wir - bei der praktisch nicht vorhandenen Frequenz an Freeridern - wahrscheinlich noch genug unverspurte Hänge für die nächste Woche, die alle mit den beiden Liften des Schiegebiets und dem kurzen Aufstieg erreichbar wären.
Nun wollen wir aber noch das Schigebiet von Molinas - St. Veran kennenlernen, etwa 20 Minuten Fahrt mit dem Auto bis zu einer fix geklemmten Vierersesselbahn, an deren Bergstation wir uns nun befinden.
Wie wir später merken, sind nahezu alle Schifahrer im Gebiet hier versammelt und nehmen an einem Rennen teil.
Wir fahren aber weiter nach hinten, hier erstreckt sich das Schigebiet über einen unendlich weiten Westhang zwischen etwa 2000 und 2800 Meter Höhe, einige - jeweils versetzte - Stangenschlepper führen durch unendliche Weiten und erschließen zahlreiche menschenleere und ebenfalls ideal präparierte Pisten, allerdings weht hier eine steife Nordwestbrise.
Helmut kommt hier am "Dach der Welt" an....
Weitere Impressionen vom Schigebiet....
Etwas über dem Talboden der Ort St. Veran:
Jede Menge Panorama....
... und nahezu "unendliche" Weiten im Schigebiet.
Von der Bergstation des obersten Lifts blickt man in das dahinterliegende Tal, das sich auch mittels eines kurzen Aufstiegs als Hintenrum-Tour erreichen ließe.
Und wieder der Monte Viso
Die höchstgelegene Bergstation des Gebiets auf 2800 m.
Zwar waren die Hänge zwischen den Liften locker verspurt, doch wenige Hundert Meter links (von oben gesehen) finden wir wieder absolut unberührte Hänge bis hinunter ins Tal.
Schließlich treffen wir auf einen Ziehweg....
.... blicken noch einmal zurück zum obersten Lift....
.... auf unsere Abfahrtshänge.....
.... und steuern schließlich den Ort St. Veran an,.....
.... in dem es eigentlich nur sehr wenige touristische Einrichtungen gibt und praktisch noch jedes Haus einen Stall nebenan hat.
Für eine Pause auf der Terrasse des Hotels ist es zu kalt, doch im gemütlichen Gastraum trinken wir Tee und heiße Schokolade.
Nach der Pause geht es über weitere menschenleere Pisten zurück zum Auto in Molines.
Zum Abschluss noch einige Impressionen aus dem Tal.
Kirche von St. Veran
Eine wehrhaft aussehende Kirche weiter unten im Tal
Zwei wundervolle und vor allem in ihrer Art völlig überraschende Tage liegen nun hinter uns, wir haben uns in die Tallandschaft und die Berge von Queyras haltlos verliebt und können uns jedenfalls vorstellen, hierher einmal für eine kombinierte Touren- und Variantenwoche wieder zu kommen. Voraussetzung dafür ist allerdings eine Wetterlage wie im heurigen Jahr, die durch mehrere Mittelmeertiefs genug Pulver an die eher als inneralpines Trockengebiet bekannte Westseite des Monte Viso gebracht und das Queyras in ein absolutes Winterwunderland verwandelt hat.