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Naja, das klingt jetzt ein bisschen danach als würden ein paar Heuschrecken das große Geld verdienen und dafür die Landschaft verschandeln.
Na ja, Herr Müntefering war da mE schon in Sachen Hedgefonds nicht ganz hundertprozentig sachlich, als er jenen Begriff prägte.
Aber letztlich ist es ohne Zweifel so, dass ziemlich einzigartige Naturräume zerstört werden (auf die ich in der Tat auch einen europäischen Anspruch erhebe), um einigen wenigen Personen einen hohen Gewinn zu bringen. Egal, an welcher Stelle man den nun verortet - sei es nun bei den sechs Familien, denen die zwanzig Hotelkomplexe gehören oder wem auch immer. Bei normalem Ausbau wäre die Zerstörung gering (weil reversibel!) und die gleichen Personen würden immer noch Gewinne erwirtschaften, diese wären eben nur nicht derart hoch wie sie sind (und das ist mein Kritikpunkt, gegen den "normalen" Ausbau ist ja nichts zu sagen (anders als im DAV).
Die Talwirtschaft würde genauso mit einer weniger ökonomisch hochgezüchteten Erschließungspolitik funktionieren - sie wäre eben nur etwas weniger ertragreich. Zumal ja nun ein hoher Prozentsatz der Angestellten mitunter gar nicht aus den Tälern kommt. In Frankreich sollen es angeblich über 80% sein (wurde mir mal vor Ort erzählt, kann ich nicht beurteilen, klingt aber nicht unglaubwürdig), die als Saisonarbeiter anreisen, und auch in Österreich stammen zumindest in der Hotellerie und Gastonomie (und beide stellen die meisten Arbeitsplätze) große Teile aus den neuen osteuropäischen Mitgliedstaaten.
Auch bedarf es meines Erachtens des Skitourismus nicht bzw. nicht in dieser extremen Form, wie neuerdings immer üblicher, um eine Talwirtschaft zu erhalten. Dass Abgelegenheit und geringe Infrastruktur keine Hindernisse sein müssen sieht man hervorragend auf der schwäbischen Alb, die einem beim Durchfahren als absolutes Ende der Welt vorkommt (was sie ja irgendwo auch ist), die aber dennoch ennorme Wirtschaftsleistungen erbringt (weiß nur kaum einer).
Ohne Zweifel aber dürfte in den meisten Tälern mit Skitourismus dieser eine wesentlich ökonomische Rolle spielen (wobei es eben den Bewohnern des unteren Etschtales wiederum ohne Schigebiet auch nicht schlechter geht, es gibt schon auch noch genug andere Wirtschaftszweige). Nur ist - um wieder auf das Ausgangsthema zurückzukehren - die ökonomische Grundlage eines Tales ganz sicher nicht von Remodellationen oder (übertriebener) Beschneiung
abhängig. Kürzere oder schlechtere Winter hat es immer gegeben, ohne Zweifel fallen Gewinnmargen dann geringer aus. Aber diese Winter sind - wenn man vernünftig wirtschaftet und nicht alles mit 30 Jahre laufenden Krediten finanziert - kein Untergang für eine ganz Talwirtschaft - sonst wären ja in den ersten 40 Jahren Skitourismus schon alle Schigebiete und Täler irgendwann insolvent gewesen bzw., Schigebiete wie den Nordpark dürfte es gar nicht erst geben. Und daran ändert auch der Klimawandel weniger als man so denkt (0,5° C verschieben die Schneefallgrenze um ca. 100m nach oben, also keine sehr gravierende Änderung bisher in den letzten hundert Jahren).
Jetzt kann man dies alles natürlich auch im Wettbewerb sehen. Wenn also Schigebiet A vollbeschneit ist und dies dem Gast auch kommuniziert, dann wird es gegenüber Schigebiet B Vorteile haben, selbst wenn dort der Schnee und die Pisten sogar besser sind (was man in der Praxis übrigens andauernd beobachten kann, ich letztes Jahr wieder im Allgäu, wo sich Großteile der Gäste auf den Pisten mit den schlechtesten Schneebedingungen tummeln, während Traumpisten mit perfektem Pulver eher gering frequentiert werden). Vermutlich könnte Schigebiet A sogar Schneekanonen aufstellen, die niemals laufen, und mit Vollbeschneiung werben: solange das beim Gast so ankommt, scheinen die realen Bedingungen irrelevant (jedenfalls solange, bis gar nichts mehr geht, aber diese Fälle haben wir ja selten; und dann ist das ebenfalls wieder eine Sache: Ischgl mit Vollbeschneiung konnte zum Opening 2006 auch nur drei Pisten öffnen und die waren voller Steine und brauner Stellen).
Selbst wenn man aber dieses Wettbewerbselement berücksichtigt, so kommt man auch nur an ein systemtheorethisches Problem (hat jemand von Euch Luhmann gelesen?): natürlich kann innerhalb eines ökonomischen Systems auch nur eine ökonomische Größe erzeugt werden: nämlich Effizienz oder letztlicht Gewinn. Genau aus diesem Grund macht es auch keinen Sinn, auf die "bösen" Industriebetriebe zu schimpfen, die die Umwelt verschmutzen. Kein Energieversorger kann es sich normalerweise langfristig leisten, von sich aus Millionen in CO²-Reduktion zu investieren, wenn dies innerhalb des ökonomischen Systems nichts bewirkt, als geringere Marktkraft.
Genau aus diesem Grund muss es andere Systeme geben, die das ökonomische System beeinflussen: namentlich das politische System und dessen Steuerungsmodell: das Rechtssystem. Gelten für alle dieselben Normen hinsichtlich des Ausstoßes von Schwefeldioxid (saurer Regen) und CO² etc., dann bleibt der Wettbewerb unverzerrt und kann sich innerhalb dieser neuen Grenzen entwickeln. Das Ergebnis ist: wesentlich (!) umweltverträglichere Energieproduktion ist plötzlich möglich, ohne dass wirtschaftlich Nachteile drphen. Zwar verringert sich ein Stück weit der Gewinn der Betroffenen Unternehmen, weil sie etwa Rauchgasentschwefelungsanlagen einbauen und warten müssen, dies führt aber natürlich nicht zum Zusammenbruch von RWE! Noch spannender wirds übrigens im Rahmen von CDM und CER-Handel, aber das führt jetzt zu weit...
Worauf läuft es also hinaus? Eine funktionierende Talwirtschaft ist ohne Zweifel mit Skitourismus bei begrenzten Landschaftseingriffen genauso möglich (hinsichtlich des Abwasserproblems hat das ja übrigens auch geklappt, Investitionen hin oder her!). Es ist aber - und das liegt auf der Hand - natürlich kein Prozess, der aus dem ökonomischen System der beteiligten Gesellschaften selbst heraus entstehen könnte - wie auch?! Aus diesem Grund ist dies eine Frage, die über das Rechtssytem zu klären wäre - und zwar auf europäischer Ebene, da wir es hier mit einem grenzübergreifenden Wettbewerb zu tun haben. Ich denke nicht, dass eine Begrenzung der Intensität infrastruktureller Maßnahmen auf das in den 90er Jahren übliche Maß langfristig zu irgendeiner Beeinträchtigung der Tourismuswirtschaft führen würde! Wohl aber dass es für eine derartige europäische Bemühung keinen politischen Raum gibt, denn das politsche System - und so schließe ich mit Luhmann - unterliegt wie das ökonomische dem Prinzip der Autopoeisis. Zwar produziert es zwar keine ökonomischen Größen, wohl aber Machterhalt.