Versuch einer vorläufigen, subjektiven Wertung
Besteht eine „Gefahr“ für die Heidelberger Hütte durch das derzeitige Erschließungsvorhaben? Ich würde sagen eher nein. Da sich durch die neue Luftseilbahn eher eine Verbesserung und Erleichterung des Hüttenzugangs ergeben wird, würde ich mit steigenden Besucherzahlen rechnen. Ob diese zusätzlichen Tagesgäste dann auch auf der Hütte übernachten? Zumindest nicht, wenn sie gleichzeitig ein sicherlich nicht ganz billiges Hotelzimmer in Ischgl bezahlen müssen.
Die Abfahrt vom Piz Val Gronda zur Heidelberger Hütte ist tatsächlich wenig attraktiv: sehr viele Hangquerungen, teilweise, wie bei uns, bei wenig Schnee gar nicht so einfach, auch nicht von der Routenwahl her, da man die Hütte erst relativ spät sieht und sofern die Route nicht mit Stangen markiert wird oder immer intensiv eingefahren wird, ist sie für den „Otto-Normal-Abseits der Piste-Fahrer“ nicht leicht zu finden, zumal wohl die wenigsten eine topographische Karte dabei haben oder zu benutzen gewohnt sind – ohne jemandem zu nahe treten zu wollen.
Zudem ist der Fahrweg durchs Fimbertal zumindest von der Fimberalp bis zur Gampenalp alles andere als rasant. Teilweise muss man schieben, kurz vor der Einmündung in die Piste 40 muss man sogar 10 bis 20 Hm hinaufsteigen, was ebenfalls für normal ambitionierte Variantenfahrer abschreckend sein dürfte. Das eigentliche Tourengebiet der Heidelberger Hütte wird durch diese Erschließungsvariante in jedem Fall nicht beeinträchtigt, wohl rückt aber das sehr intensiv genutzte Skigebiet mit seiner Infrastruktur und den, im Vergleich zum Tourenbetrieb, damit verbundenen „Menschenmassen“ näher an die Hütte und das bis heute komplett unerschlossene Hintere Fimbertal heran. Ob das die Erlebnisqualität einer schönen Skitour dort mindert, glaube ich allerdings auch nicht. Die Landschaft ist derart groß und weit – ein ähnliches Phänomen übrigens wie in Val Thorens, wo trotz der Größe des Ortes und der intensiven Erschließung, der riesige Kessel des Talschlusses von den Gipfeln betrachtet (z.B. von der Masse oder dem Cime Caron) immer noch verhältnismäßig unerschlossen wirkt, meiner Meinung nach zumindest , dass, wie bereits oben beschrieben, selbst die Eingriffe am Palinkopf oder der Seilbahnknotenpunkt Idalp aus der Entfernung verblassen und sich nicht störend auf die Landschaftswahrnehmung auswirken.
Wie eignet sich nun der Piz Val Gronda zur Erschließung als Pistenberg? Obwohl die oben diskutierten Einwände aus meiner Sicht nun ausgeräumt sind, bin ich nach wie vor nicht vom Erschließungsprojekt überzeugt, da die reduzierte Erschließung zwar den Tourenbergcharakter beenden wird, aber gleichzeitig für den Pistenfahrer nur eine relativ kurze zusätzliche Abfahrt bieten wird. In der Tat ist es so, dass der Piz Val Gronda den Variantenfahrern sehr große zusätzliche, relativ leicht erreichbare Flächen auf prinzipiell gut geeigneten Skihängen bietet (mit der obigen Einschränkung des unbequemen Rückwegs aus dem hinteren Fimber Tal). Aber: diese Varianten brauchen eine entsprechende Schneelage, sind auf den Geländekämmen und -rücken gerne abgeweht (genauso übrigens wie die breite Gipfelkuppe) und Varianten sind meistens auch nur solange interessant, bis genügend Skifahrer sie befahren haben. D.h. Tiefschnee- oder Firnvariantenfahren ist meiner Ansicht nach per se ein exklusives Vergnügen (im Gegensatz bspw. zur heutigen Piste, die dank Beschneiung über Wochen auch ohne Neuschnee ein konstant glatt-hartes Milieu bietet) und es wird nicht dadurch weniger exklusiv, dass eine Seilbahn ab nächster Saison pro Stunde über 1000 Personen an den Start dieser Varianten befördert. Was an unverspurter Fläche über viel längere Zeit für eine kleinere Anzahl Tourengeher gut ausgereicht hat, wird nun innerhalb recht kurzer Zeit komplett zerfahren werden, von einer relativ kleinen Gruppe innerhalb der Ischgl/Samnauner-Klientel, die aus meiner Warte bislang nicht die Hauptzielgruppe der Destination dargestellt hat.
Das Argument, dass man zur Inwertsetzung dieser Variantenhänge unbedingt die Seilbahnerschließung benötigt, würde ich zurückweisen. Jedem körperlich gesunden Menschen, der noch dazu explizit Off Piste-Varianten fahren möchte, ist es zuzumuten von der Abfahrt 41 die ca. eine Stunde auf den Piz Val Gronda mit Fellen oder Schneeschuhen aufzusteigen. Dabei erhöht sich sogar das individuelle Erlebnis, denn man ist eher allein als in einer 150 Personen-Luftseilbahnkabine und die Abfahrten werden auch weniger verspurt sein, als wenn pro Stunde mehr als 1000 Gleichgesinnte oben am Start stehen. Wenn man als Destination wirklich die Variantenmöglichkeiten bewerben möchte, spräche doch wenig dagegen, dass man analog zu US- oder kanadischen Skigebieten einen – aufpreispflichtigen – Pistenraupen-Shuttle-Service von der Zollhütte auf die Fuorcla Val Gronda oder gar den Gipfel anbietet, mit limitierter Kapazität und entsprechendem Preis, der die Zahlungsbereitschaft der Klientel für relativ unzerfahrenes Gelände abschöpft.
Oder glaubt man in Ischgl, dass man sich dank des Piz Val Gronda zu einem neuen La Grave des Tiroler Oberlands oder einer Grands Montets oder einem Gemsstock entwickeln wird? Diese expliziten Free ride- und hochalpinen Variantenfahrer-Mekkas unterscheiden sich ja bekanntlich ziemlich stark von den Ischgl-Samnauner-Kernzielgruppen (grob: 1: sportlich ambitionierte Pistenfahrer; 2: Partyvolk; 3: ein Hybrid aus beiden). Ich glaube also, dass es ein Trugschluss wäre, von der Piz Val Gronda-Skigebietserweiterung in dieser Form massive Gästezuwächse zu erwarten.
Ob man andererseits Gästeabwanderungen verhindern kann/muss, weil endlich wieder „etwas Neues“ geboten wird, ist ebenfalls schwierig zu bewerten. Sämtliche Auswertungen touristischer Kennziffern sprechen beim derzeitigen Ausbauzustand für Ischgl/Samnaun: Skigebietsgröße, Höhenlage, Liftkapazitäten und -komfort, Anteil beschneiter Pistenfläche, hochwertige Hotellerie und Gastronomie, relativ gute Erreichbarkeit von der A12/S16, bekannte Marke, relativ klar umrissenes Image, das bei den Zielgruppen sehr positiv ist. Dass man von einer Spitzenposition im Tiroler wenn nicht gar Alpentourismus ausgehend sich durch eine einzige neue Bahn mit 2 km offizieller Piste weiter verbessert, ist deshalb wegen des Gesetz des abnehmenden Grenznutzens für mich nicht erwartbar. Der einzige, indirekte wirkliche Nutzen könnte die Argumentationsgrundlage sein, dass man, aufgrund der weiter gestiegenen Liftkapazitäten und Pistenflächen nun wieder verstärkt in die Vergrößerung des Gästebetten- und Parkplatzangebots investieren könnte und die entsprechenden Genehmigungen dazu erhält. Alles in allem bin ich der Überzeugung, dass die touristische Attraktivität der Silvretta Arena v.a. durch eine konventionelle Skigebietserweiterung im hinteren Fimbertal steigen würde, nämlich wenn es zusätzlich zur intendierten Abfahrt je eine präparierte Abfahrt über die Fuorcla und eine Abfahrt zur Fimberalp gäbe. Diese drei neuen Abfahrten wären ein wirklicher Mehrwert auch für die durchschnittlichen Destinationsgäste. Nachdem aber v.a. die letztgenannte Möglichkeit offensichtlich langfristig vom Gesetzgeber ausgeschlossen wird, bevorzuge ich den Status quo, der es mir als Wochenskigast in Ischgl oder Samnaun ermöglicht, ohne großen Aufwand ein herrliches Variantenskigelände je nach Verhältnissen ein- oder zwei Mal während meines Urlaubs aufzusuchen, evt. auch mit einem Kaiserschmarrn auf der Heidelberger Hütte.
Kommt der skitouristische Wachstumskreisel (Krippendorf) ins Rollen? Die Frage stellt sich auch, ob die Variantenstrecken vom Piz Val Gronda markiert sein werden: offiziell geht das ja wegen der Skigebietsgrenzen wohl nicht, aber wer hindert z.B. sagen wir eine Skischule mit Freeride-Angebot daran, für ihre Kurse dies „inoffiziell“ zu tun? Dies wäre v.a. für die Strecken zur Fimberalp eine Möglichkeit, genauso wie vom Gipfel ostwärts zur Fuorcla und von dort zur Piste 41, eine schöne, leichte hochalpine Einsteigervariante. Der nächste Schritt wäre dann, wegen dem oben genannten Neuschnee-Problem oder verharschtem Firn im Frühjahr, eine fallweise Präparierung (es wird ja nicht ständig ein Regierungsbeamter auf dem Gipfel stehen können und die Einhaltung von Richtlinien kontrollieren), dann wird als nächstes die Umwandlung in eine offizielle Piste beantragt und deren Beschneiung, damit man sie planbar öffnen kann und v.a. in der Vorsaison mit Schneemangel und Verwehungen die teure Investition in die Seilbahn amortisiert. Da der Rückweg durchs Fimbertal immer noch mühsam ist, fordern immer mehr sportliche Variantenfahrer eine Rückbringerbahn à la Gampen- oder Höllspitzbahn von der Fimberalp entlang der österreichisch-schweizerischen Grenze auf den Piz Val Gronda. Mit der Genehmigung und dem Bau dieser Bahn werden die Varianten in diesem Bereich fast alle endgültig zu regulären, normal präparierten und beschneiten Pisten umgewidmet. Der „touristische Wachstumskreisel“ (Krippendorf) hat sich wieder einmal formvollendet gedreht und Verhandlungen mit der Schweizer Gemeinde Ramosch über die Erweiterung des Variantengebietes auf Schweizer Territorium beginnen…
Warum manche Berge unerschlossen bleiben sollten – die legitimen Ansprüche von Tourengehern und anderen Ein ebenfalls persönlich-subjektives Argument ist es, dass die Gruppe der Tourengeher und Freunde nicht infrastrukturell veränderter Berge ein legitimes Interesse daran hat und haben darf, dass nicht jeder für ihre Aktivitäten gut geeignete Berg mit Seilbahnen erschlossen wird, da es tendenziell in Österreich und schon gar alpen- und weltweit mehr als genügend bereits erschlossene Skiberge gibt. Wenn mir als Gast nach 20 Jahren Ischgl das Gebiet zu langweilig wird, sollte ich mir vielleicht überlegen eine andere Destination auszuprobieren, anstatt wie festgeklebt dort zu verharren und auf immer weitere Neuerschließungen in meinem Stammgebiet zu hoffen oder zu pochen. Mir ist klar, dass wie auch bei Naturschutzgroßvorhaben wie Nationalparks die ökonomische Betrachtung vordergründig zu Ungunsten des Erhalts des Status quo ausfällt, da eine Seilbahnerschließung direkte, regionalökonomische Zahlungsströme in die betroffene Region lenkt (es werden doch ein paar mehr Liftkarten verkauft, Arbeitsplätze während der Bauphase für lokale Baufirmen, Arbeitsplätze zur Bedienung der Seilbahn und Pistenpräparierung etc.), während ein unerschlossener Piz Val Gronda keine konkreten Zahlungen bringt – dafür aber dennoch gesamtgesellschaftlichen Nutzen stiftet, nämlich durch den hohen Erholungswert für die Besucher des hinteren Fimbertals sowie für die Nicht-Besucher durch das Wissen um die Existenz dieses herrlichen, unerschlossenen Skitourengipfels sowie die Option, diesen Berg einmal selbst zu besuchen und entsprechende Erlebnisse dort zu haben. Da es bekanntlich keinen funktionierenden Markt für diese letztgenannten Wertkomponenten gibt und sich die sicherlich vorhandene Zahlungsbereitschaft der Tourengehergemeinschaft nicht oder nur sehr schwierig in konkrete Finanzströme umsetzen lässt, schneidet vordergründig die Erschließung bei solchen Kosten-Nutzen-Überlegungen eigentlich immer „besser“ ab (eine Idee wäre z.B., dass jedes Alpenvereinsmitglied z.B. 10 € einmalig und 1 € jährlich an zusätzlichen Beiträgen bezahlt, die dem Land Tirol und der Gemeinde Ischgl in einen Treuhandfonds zur nachhaltigen Regionalentwicklung des Oberlands, des Paznauntals sowie der Gemeinde Ischgl überwiesen werden: bei über 1 Mio. Mitglieder wären das einmalig 10 Mio. € sowie jedes Jahr 1 Mio. € damit ließe sich doch etwas bewirken, wenn auch nur auf kollektiver Basis und weniger für den individuellen Geldbeutel von Hoteliers oder Seilbahnaktionären.
So, nun habe ich mich ausführlich dazu schriftlich geäußert und Euch hoffentlich einen Eindruck des Status-quo vor der Erschließung geliefert, an deren Stopp ich nicht glaube, es möge ein jeder sich seine eigene Meinung bilden und eventuell diese Saison noch dazu nutzen, es uns gleich zu tun. Für meinen Teil wird es sicherlich nicht der letzte Besuch dort gewesen sein, schließlich gilt es die künftigen Entwicklungen zu dokumentieren, das tolle Skigebiet abzufahren sowie noch etliche Touren im Winter wie Sommer von der Heidelberger Hütte aus zu unternehmen.
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