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BeitragVerfasst: Mo, 21.04.2014, 17:42 
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Kungsleden – Grenzerfahrungen

Von Abisko bis Nikkaluokta
Mai / Juni 2013



[Vorwort]

Bald ist nun ein Jahr vergangen, seit wir auf sechs Etappen einen Teil des Kungsledens, Schwedens wohl berühmtesten Fernwanderweg, begangen haben. Die Erinnerungen an diese großartige Tour, fernab jeglicher Zivilisation und - dank der Tatsache, dass wir außerhalb der klassischen Trekkingsaison unterwegs waren – auch ohne menschliche Begegnungen, ja die Erinnerungen, die sind immer noch präsent. Und so möchte ich euch auch nach diesen vielen Monaten noch teilhaben lassen an unseren Erfahrungen und euch einige traumhafte Impressionen, aber auch die Schwierigkeiten einer solchen Tour vor Augen führen, nachdem ich endlich dazukomme, diesen Begleittext zu verfassen.

Inzwischen gibt es ja noch viele tolle Eindrücke im Forum von starlis Reise in den Norden aus dem letzten Spätsommer, wo sich Skandinavien in traumhafter Herbstfärbung zeigt. Hier, Ende Mai/Anfang Juni, befindet sich Lappland gerade im Übergang von Winter auf Sommer, die Farben sind gänzlich andere, ich denke aber auch faszinierend. Seht diesen Bericht auch als Motivation für die bald beginnende Wandersaison. Entstanden ist die Idee der Kungsledenbegehung übrigens im Rahmen eines längeren Auslandsaufenthalts in Luleå, Nordschweden.


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[Prolog]

Der Wecker klingelt um sechs Uhr morgens. Das frühe Aufstehen, der Bus zum Bahnhof und der morgendliche Intercity in Richtung Norwegen werden nach mehrmaliger Benutzung so langsam Routine. Dieses Mal geht es nicht zum Skifahren, auch nicht zum Nordlichter beobachten, die Wandersaison wird eingeläutet. Kurz hinter dem Halt in Boden wechsle ich den Wagen und treffe Michi, der bereits knapp 24 Stunden Zugfahrt von Kopenhagen in den Knochen hat. Die Freude über das Wiedersehen ist groß, wir haben beide viel erlebt, hatten wir uns das letzte Mal doch vor sieben Monaten am anderen Ende der Welt in Chile getroffen. So vergeht die Zugfahrt schnell, die Route der Wanderung wird nochmals besprochen, die Erlebnisse der letzten Monate ausgetauscht. Wie die letzten vier Wochen nahezu am Stück, scheint auch heute die Sonne.

Der Plan: den Kungsleden von Abisko nach Nikkaluokta gehen. Eine der vermutlich schönsten Trekkingrouten Skandinaviens, gleichzeitig eine der Überlaufendsten. Jetzt ist es Ende Mai. Die Saison beginnt hier erst Mitte Juni. Vorher haben die zahlreichen Hütten, die recht lockere Tagesetappen voneinander entfernt entlang des Königswegs angesiedelt sind und von dem schwedischen Wanderverein STF betrieben werden, geschlossen. In der Zwischensaison ist man alleine unterwegs. Doch es hat auch einen Grund, warum alles geschlossen ist.


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# Quelle: http://www.svenskaturistforeningen.se/s ... ungsleden/


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BeitragVerfasst: Mo, 21.04.2014, 17:49 
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[Eins] Der Beginn
Abisko – Abiskojaure


Mit Zelt, Schlafsack, Luftmatraze, Campingküche und viel Essen starten wir gegen halb drei Uhr nachmittags zu unserer ersten, kurzen Etappe zum Einlaufen nach Abiskojaure. Dort wollen wir uns nach Verlassen der Nationalparks in der Nähe der STF-Hütte einen Zeltplatz suchen. Die Rücksäcke sind schwer und wir sind sehr gespannt, was uns erwarten wird. Für uns beide ist es die bislang längste Trekkingtour, die Wettervorhersage ist zwar gut, aber dennoch sind wir nun die nächsten sechs Tage von der Außenwelt abgeschnitten und alleine in der schwedischen Wildnis unterwegs. Hier kann man wirklich noch von Wildnis sprechen, außer einigen Rentierherden gibt es nichts, Handyempfang sowieso nicht. Nottelefone sind in den Hütten installiert, jedoch meist mindestens einen halben Tagesmarsch voneinander entfernt. Unsere Ausrüstung ist größtenteils nicht schlecht, dem Auslandssemester geschuldet aber nicht optimal und verlässliche Informationen über den Zustand des Weges gibt es zu dieser Jahreszeit noch nicht.

Bereits während der Bahnfahrt genießen wir die grandiosen Aussichten auf die Seen-Berge-Landschaft um den Torneträsk, Schwedens siebtgrößten See. Der Bahnhof an der Abisko turiststation liegt direkt am Beginn des Kungsledens. Der 440 km lange Fernwanderweg führt durch die abgelegenen Regionen Lapplands bis nach Hemavan entlang der norwegischen Grenze. Der Beginn des Wanderwegs wird durch ein Holztor mit einigen Informationstafeln gekennzeichnet.


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# Der Intercity nach Narvik im Bahnhof von Luleå

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# Auf der Malmbanan zwischen Kiruna und Abisko

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# Torneträsk, etwas kleiner wie der Gardasee

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# Startpunkt des Kungsleden


Die erste Etappe nach Abiskojaure ist nur etwa 14 Kilometer lang, also ein entspanntes Einlaufen und Zeit zum Gewöhnen an den schweren Rucksack. Besonders schöne Aussichtsplätze sind als „Mediationsplatz“ gekennzeichnet und laden immer wieder zu kurzen Trink- und Genießpausen ein. Der Weg ist durchwegs ein guter, ausreichend breiter Wanderweg in bestem Zustand. Steigungen gibt es nur ganz kurze, der Weg ist entlang des Flusses und durch lichte Wälder trassiert. Ab und an kommen uns einige Wanderer entgegen, die eine Tageswanderung von Abisko ins Tal hinein unternommen haben.


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# im Hintergrund ist die Doppelsesselbahn auf den Nuolja zu erkennen (mehrere Winterberichte finden sich hier im Forum)

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Es ist warm. So warm, dass wir schnell auf kurze Hose wechseln und häufig Trinkpausen einlegen. In Nordschweden, dreihundert Kilometer nördlich des Polarkreises, Ende Mai. Das Wetter spielt verrückt. Bereits die letzten Wochen waren für nordskandinavische Verhältnisse sensationell warm und sonnig. So genießen wir heute die Kühle der Schatten im Wald, lauschen den lauter und leiser werdenden Geräuschen des Flusses, suchen uns einen geeigneten Wanderstock für die nächsten Tage und freuen uns, an der frischen Luft zu sein.

Der Weg führt hinunter zum Wasser, der Fluss ist mal breiter, mal schluchtartig tief eingeschnitten. Tosend stürzt er Stromschnellen hinab, Regenbogenfarben leuchten gegen den blauen Himmel. Ab und an wird der Wald lichter, Blicke in die Berge werden frei. Abermals fasziniert uns die unendliche Weite, die Einsamkeit und Unberührtheit der Landschaft. In diese Berge werden wir nun hineinlaufen. Schneebedeckt abweisend und doch so einladend. Mit jedem Meter werden die Ausblicke großartiger.


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Nach knapp 15 Kilometern erreichen wir die erste Schutzhütte, Abiskojaure. Sie liegt idyllisch eingebettet in einer größeren Lichtung des Birkenwaldes südwestlichen Ende des Sees, der uns die letzte Stunde begleitet hat: Ábeskojávri bzw. auf Schwedisch eben Abiskojaure. Wir inspizieren die Umgebung, die klassische schwedische Schutzhütte besteht aus mehreren kleinen Holzhütten, die etwas verstreut angeordnet sind. Es gibt ein Hauptgebäude, wo die „Verwaltung“, der Hüttenwirt ist, häufig sind dort auch noch Küche, Winterraum, Nottelefon usw. zu finden. Die Lager (bzw. meist eher 6er bis 8er Zimmer mit Betten) sind in den Nachbarhütten, Toiletten meist weiter in Richtung Wald. Außerdem gibt es noch das Holzlager, Feuerstellen, Zeltplätze und manchmal auch eine Sauna (wir sind ja schließlich in Schweden).

Man kann sich gut vorstellen, wie hier im Sommer Hochbetrieb herrscht. Heute sind wir aber ganz alleine, anfangs noch etwas ungewohnt inmitten einer Hüttenansammlung, aber wir gewöhnen uns daran, bauen unser Zelt auf und machen ein Lagerfeuer. Am ersten Tag (dank des kurzen Zustieges) ist unsere Mahlzeit noch sehr dekadent, die folgenden Tage werden dann der Situation angemessener ;-).


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Nur ein paar Meter von unserem Zelt entfernt liegt das Ufer des bereits erwähnten Sees, sehr idyllisch mit grandiosen Ausblicken. Dunkel wird es hier bereits Ende Mai nicht mehr, aber spätabends hat man ein tolles, flaches Licht, was mich die folgenden Wochen, sowohl auf der Wanderung als auch auf den weiteren Reisen, immer wieder faszinieren wird.


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# Kåtotjåkka (1991 m)

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# Dekadenz des ersten Abends

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# letztes Licht oder erstes Licht?




...Fortsetzung folgt...


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BeitragVerfasst: Do, 24.04.2014, 19:38 
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[Zwei] Der Genuss
Abiskojaure – Alesjaure


Die erste Nacht im Zelt bringen wir gut rum, mein Schlafsack ist nicht allzu warm, aber da es nicht wirklich dunkel wird, wird es auch nicht so kalt und ab den frühen Morgenstunden scheint sowieso die Sonne wieder auf das Zelt, sodass wir freiwillig in der Früh aufstehen, da es zu warm und stickig wird. Wir spüren die Anstrengung des Vortages leicht, vor allem an den Schultern das Gewicht des ungewohnt schweren Gepäcks, starten aber motiviert und fit in den zweiten Tag unserer Tour. Das Wetter ist unverändert perfekt.

Gleich zu Beginn – nach nur wenigen Metern Einlaufen – beginnt der anstrengendste Teil des Tages, der steile Anstieg hinauf auf die Hochebene, durch die wir heute und morgen wandern werden. Es sind zwar nicht einmal 500 Höhenmeter, durch den schweren Rucksack kommt es uns aber wesentlich mehr vor, zumal der Weg sich in engen Spitzkehren erbarmungslos in der prallen Sonne den Hang hinaufwindet. Ein weiteres charakteristisches Merkmal des Kungsledens sind übrigens die Stahlhängebrücken, von denen es zahlreiche zur Überquerung von größeren Flüssen gibt. Kleinere Flüsse werden häufig mit kleinen Holzbrücken überquert, die im Winter jedoch abgebaut werden, damit sie nicht durch das Schmelzwasser weggerissen werden. An jenen Stellen merken wir das erste Mal, warum in der Vorsaison so gar niemand unterwegs ist. Nasse Füße bekommen wir daher nicht nur einmal…


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# Wintermarkierungen erinnern uns an die kalte Jahreszeit

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# klassische Hängebrücke über größere Flüsse

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# Michi beim Kartenstudium, verlaufen kann man sich jedoch nicht wirklich

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# Rückblick auf den Abiskojaure und unseren vergangenen Zeltplatz

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# Erfrischungsbad in der Schmelzwasserpfütze

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Die Baumgrenze liegt hier bereits bei etwa 600 m und oberhalb von 700 m wächst so gut wie gar nichts mehr außer den Moosen und vereinzelten Sträuchern. Daher bewegen wir uns auf der Hochebene vorerst mal in vegetationslosen Gefilden, die einerseits abweisend wirken, auf der anderen Seite aber auch faszinierend mit den weiten Hügelzügen und ihren Schneefeldern, dazwischen liegen zahlreiche durch das Schmelzwasser zu Seenlandschaften angewachsene Bäche und in der Ferne vergletscherte Gipfelzüge mit knapp 2000 m Höhe. Wenig später entdecken wir das erste Samidorf, wo im Sommer auch heute noch Samen leben und Rentiere hüten. Die traditionellen Samizelte - ähnlich wie die Tipis der nordamerikanischen Indianer kegelförmige Zelte aus Birkenstämmen und einer „Plane“, die oben mittig eine Aussparung zum Rauchabzug der darunterliegenden Feuerstelle besitzen – sind in heutiger Zeit ergänzt worden durch einfache Holzhütten.


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# Sami-Siedlung

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# typisch skandinavischer Wegebau in sumpfigen Gebieten

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Nach einigen Kilometern führt die Hochebene in ein Hochtal, welchem wir in Richtung Süden folgen. Im Tal liegen mehrere aufeinanderfolgende Seen, die teils noch zugefroren sind, teils herrliche Zusammenspiele von Schnee, Eis und Wasser bilden. Die einzigen Geräusche hier oben sind Wind und Wasser. Zunächst ist der Weg hauptsächlich auf den Holzlatten geführt, die Wiesen rundherum sind völlig vom vorangegangenen Winter durchweicht. Je weiter wir vordringen, desto näher rücken die Schneefelder an unseren Weg heran, bis sie ihn schließlich erreichen. Bei angenehmen Temperaturen, Sonnenschein und der Aussicht auf die „normale“ Fortsetzung des Weges genießen wir das Spiel mit den Elementen und durchqueren freudig die ersten Schneefelder und brückenlosen Bäche… Die Schneefelder sind häufig noch stabil genug, sodass sie bis auf die ersten und letzten fünf Meter halten und man bequem darauf laufen kann.

Kommentarlose Impressionen eines grandiosen Tages, Wasser und Gebirge ist eine phantastische Kombination:


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Ein perfekter Wandertag neigt sich dem Ende, wir nähern uns unserem Ziel, der nächsten Schutzhütte: Alesjaurestugorna. Den anfänglichen Plan, die Zelte immer zwischen den einzelnen Hütten aufzuschlagen, ändern wir schnell und beschließen, an den Hütten zu zelten, da eh niemand vor Ort ist und wir so ein bisschen was von der vorhandenen Infrastruktur (vor allem Brennholz…) mitnutzen können. In der Nähe, auf der anderen Seite des Sees, befindet sich eine größere Samisiedlung (Alisjávri), die aber auch noch unbewohnt zu sein scheint. Derweil machen wir Lagerfeuer, kochen und genießen die Freiheit…


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# Hüttenansammlung Alesjaure

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# freiheit. (22:30 Uhr)

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…Fortsetzung folgt…


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BeitragVerfasst: Sa, 03.05.2014, 19:08 
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[Drei] Der Wettersturz
Alesjaure - Tjäktjapasset


Dass nicht alles Gold ist, was glänzt und dass es nicht eine Woche lang so weiter geht, wie es begonnen hat, ja das, das lässt der Titel des dritten Tages bereits erahnen. Andererseits entstehen auf solchen Tagen auch die Geschichten, die man noch lange erzählt, die einer solchen Wanderung den Abenteuerfaktor verleihen und die einem auch zeigen, was es eben bedeutet, im Gebirge unterwegs zu sein…

Der Tag beginnt bewölkt, nicht schlecht, aber auch kein Kaiserwetter. Wir laufen weiter gen Süden, wollen den höchsten Punkt unserer Wanderung, den Tjäktjapasset auf etwa 1150 m überqueren und dann unser Lager auf dem Weg nach Sälka aufschlagen. Je höher wir gelangen, desto mehr Schnee liegt auf und neben dem Weg, die Schneefelder werden mehr. Anfangs lassen sie sich noch gut umgehen oder überqueren, später wird immer mehr Orientierungssinn und Routenwahl nötig, da der eigentliche Wanderweg häufig durch sumpfige Wiesen direkt neben oder gar im Schmelzbach führt und daher nicht sinnvoll passierbar ist.

Zunächst zeigt sich der Schnee aber von seiner besten Seite und posiert mit der Sonne und dem reißenden Schmelzbach um die Wette.


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# morgendlicher Ausblick in Richtung Süden

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# beeindruckende Schneeformationen am Wegesrand

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Weiter geht es Richtung Tjäktjapasset, auf halbem Weg dorthin zweigen wir von dem größeren Fluss Aliseatnu nach links ab und folgen dem Pfad hinauf Richtung Tjäktjahütte. Das Wetter verschlechtert sich zunehmend, die Sonne verschwindet alsbald ganz, dicke, graue Wolken ziehen über die Berge hinab ins Tal, sorgen für immer nebligere Verhältnisse und starken Wind. Der Weg selbst wird auch nicht besser, die Schneefelder werden immer mehr, der Weg selbst ist nur mehr selten passierbar, da der Boden in Flussnähe viel zu aufgeweicht ist und die vorhandenen Schneefelder hier nicht tragen. Die Holzbohlen lassen sich unter den Schneemassen entweder gar nicht mehr ausmachen oder sie versinken samt unseren Füßen in tiefem Schlamm. Schritt für Schritt sinken wir tief in den Schneematsch ein, die Feuchtigkeit kriecht so langsam überall hinein. Wir verlassen den markierten Weg immer häufiger und laufen höher am Hang, wo es weniger, dafür stabilere Schneefelder gibt, die nicht ganz so durchnässt sind. Wir kommen immer langsamer voran, der Wind ist ebenfalls wenig motivierend, er drückt die Wolken immer mehr hinein.

So sind wir froh, endlich die Tjäktjastugan, eine der STF-Schutzhütten, etwa 250 Höhenmeter unterhalb der Passhöhe, zu erreichen. Nun ja, fast zu erreichen. Die Hütte liegt auf der anderen Seite des Flusses, eine Hängebrücke ist vorhanden, jedoch wird das Erreichen selbiger zu einem kleinen Abenteuer für sich. Zunächst müssen wir durch ein sehr großes und vor allem tiefes Schneefeld – immer wieder sinke ich hüfttief ein – und dann folgt die Schlüsselstelle, der Übergang zur Treppe. Es ist immer etwas heikel, da man ja nie sieht, was sich unter dem Schnee befindet, insbesondere wenn man auf eine Brück zusteuert und drunter auch ein steiler Hang sein könnte. Letztlich geht alles gut und wir machen erstmal Mittagspause im Winterraum der Hütte und versuchen, unsere Sachen bestmöglichst zu trocknen.


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# Hängebrücke mit Schlüsselstelle

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# Tjäktjastugan


Nun wird uns endgültig klar, warum wir alleine unterwegs sind und warum die Saison hier erst Mitte Juni zu midsommar beginnt. Das Wetter verschlechtert sich zusehends, der Wind wird noch stärker, es beginnt zu regnen und es ist empfindlich kalt. Teils mischen sich auch Schnee- und Graupelkörner in den Regen. Dennoch packen wir uns – nachdem wir uns versucht haben, mit einer heißen Suppe wieder aufzuwärmen – in unsere dicken Pullis und Regenklamotten ein, es ist schließlich erst nachmittag und ein gutes Stück weiter sollten wir heute schon noch kommen. Eigentlich trennen uns von der Passhöhe auch nur noch gute drei Kilometer, auf der Südseite erhoffen wir uns dann weniger Schnee und Wind.


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# Blick zurück, von dort unten kamen wir


Eigentlich… Denn die folgenden drei Kilometer kommen wir gefühlt überhaupt nicht mehr voran. Der Wind peitscht uns den Regen aus allen erdenklichen Richtungen ins Gesicht, die Schneefelder scheinen kein Ende mehr zu nehmen. Der Schnee wird immer weicher und tiefer, ich sinke regelmäßig bis weit über die Knie ein, Schritt für Schritt. Jeder Meter wird ein Kampf, trotz Regenklamotten sind wir bald beide komplett durchnässt, insbesondere die Hosen/Schuhe halten der Dauerbelastung durch solchen Nassschnee kaum stand. Gamaschen wären hier ein nützlicher Helfer. Die schneefreien Abschnitte werden kürzer und verschwinden bald ganz, ein Durchkommen im Talgrund nähe des Flusses wird immer unmöglicher. Bald weichen wir weiträumig nach oben aus, steigen mindestens 100-150 Höhenmeter über den Talgrund auf und versuchen uns dort querfeldein durchzukämpfen.


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An sich wäre das alles schon irgendwie machbar, aber die Kombination aus grausligem Wetter, dem vielen Schnee, der permanenten Steigung und dem schweren Gepäck lassen uns schnell an unsere Grenzen stoßen. Zur Not wäre ein Umdrehen und Zurücklaufen nach Abisko zwar kein Problem, aber eigentlich möchten wir das unter allen vertretbaren Umständen vermeiden. So arbeiten wir uns Schritt für Schritt, Meter für Meter vorwärts, diskutieren unsere weitere Route, wechseln die Führungsposition und kommen schließlich nach knapp drei Stunden, völlig erschöpft, durchnässt und durchgefroren, an der Passhöhe des Tjäktjapassets an. Zu unserer großen Erleichterung steht dort oben eine kleine Notunterkunft. Beim Betreten selbiger wissen wir beide, dass wir hier erstmal über Nacht bleiben.

Wir sind sicher nicht die besttrainiertesten Bergsteiger und hatten auch nicht die optimale Ausrüstung dabei (mit Gamaschen und wasserdichteren Hosen wäre es schon deutlich angenehmer gewesen), aber auch nicht unerfahren. Das schwere Gepäck und das schlechte Wetter haben aber letztlich dazu geführt, dass diese letzten Kilometer doch Grenzerfahrungen waren, die ich zwar definitiv wieder so machen würde, aber einem auch deutlich klar machen, dass die Natur stärker ist wie man selbst. Und dass man als mit den Alpen groß gewordener, die Mittelgebirge, insbesondere hier im hohen Norden, gerne intuitiv unterschätzt.


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# rettende Notunterkunft auf der Passhöhe

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# Rückblick

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# Passhöhe


Auch hier oben gibt es ein Holzlager, sodass wir den Ofen anheizen können und den Raum auf angenehme Temperaturen erwärmen können. Insbesondere zum Trocknen unsere Klamotten und Schuhe sehr wichtig. Total erschöpft schmelzen wir Schnee und kochen uns ein verdientes Abendessen. Mit gegenseitigem Massieren - insbesondere der schwere Rucksack, dessen Tragen wir beide nicht gewöhnt sind, hinterlässt nach drei Tagen seine Spuren an Schulter und Rücken - und der weiteren Routenplanung für die nächsten Tage freuen wir uns auf einen gesunden Schlaf in der folgenden Nacht. Am Abend bessert sich das Wetter und lässt uns wieder zuversichtlicher auf die kommenden Tage blicken, gegen zehn Uhr abends kommt sogar nochmal die Sonne heraus.


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# 22:00 Uhr

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# 23:30 Uhr



…Fortsetzung folgt…


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BeitragVerfasst: So, 04.05.2014, 9:23 
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[Vier] Das Auenland
Tjäktjapasset - Singi


Das schöne, sonnige Wetter von gestern Nacht konnte sich nicht halten, bis zum nächsten Morgen hat es sich wieder gänzlich zugezogen, der Himmel präsentiert sich in ungemütlichem grau und tief hängenden Wolken. Immerhin regnet es nicht. Unsere Route führt uns auf der Südseite des Tjäktjapassets wieder hinab in ein größeres Flusstal, dem der Weg über Sälka weiter nach Singi folgt. Bei schönerem Wetter gibt es hier ein paar Berge rechts des Weges, die sich als Abstecher vom Kungsleden recht einfach besteigen lassen und sicherlich eine grandiose Aussicht bieten. Doch dafür kommt man wohl besser später im Jahr zurück…


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# hier müssen wir hinab in die Ungemütlichkeit

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Heute schauen wir lieber, dass wir weiter kommen, solange es nicht regnet. Also packen wir uns wieder in die größtenteils inzwischen getrockneten, teilweise aber auch noch nassen Regensachen ein und machen uns an den Abstieg. Zu Anfang liegt noch reichlich durchnässter Schnee, aber bei weitem nicht so schlimm wie gestern. Bergab geht es dann doch deutlich einfacher und wir gehen gleich etwas höher am Hang entlang und steigen vorerst gar nicht in die Mitte des Tales ab.

So kommen wir halbwegs schnell vorwärts und erreichen schließlich den Talgrund entlang des Flusses Tjäktjavagge. Dort zieht sich der Schnee immer weiter zurück, sogar das Wetter wird wieder besser und die Sonne kommt raus und beschleunigt das Trocknen unserer Sachen. Phantastische Ausblicke auf vergletscherte Bergabstürze, mit Schneeresten bedachte Hügelketten und die ersten Rentierherden unserer Wanderung lassen unsere Wanderlust wieder aufkommen.


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Im Folgenden zieht sich der endlich wieder begehbare Wanderweg mal näher, mal weiter entfernt vom Fluss durch den breiten Talboden. Der Fluss ist ob des Schmelzwassers zu einer beachtlichen Seenlandschaft oder reißenden Stromschnellen angewachsen. Es geht immer leicht bergab, wodurch wir gut vorankommen und nach Sälka gleich weiter bis Singi laufen. In der Ferne zeigt sich auf der linken Seite immer wieder ein vergletschertes Massiv, das höher ist als die umliegenden Berge: der Kebnekaise, mit 2106 m höchster Berg Schwedens. Sein Normalweg ist nicht ganz einfach, führt am Rande des Gletschers entlang und ist bei den aktuellen Bedingungen und der Schneelage definitiv noch nicht machbar. Also müssen wir dafür wohl nochmal zurück kommen.


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Singi liegt schließlich etwas oberhalb einer großen Ebene der Flusslandschaft, wo mehrere größere Bäche zusammenfließen und sich zu einem richtigen Fluss vereinigen. Hier ist auch ein wichtiger Kreuzungspunkt des Kungsleden. Der eigentliche Weg geht hier geradeaus – dem größeren Fluss folgend – weiter bis Hemavan, was noch mehrere hundert Kilometer entfernt ist. Die beliebteste Kungsledenwanderung, die auch wir machen, zweigt jedoch hier ab und folgt in ein bis zwei weiteren Tagesetappen einem anderen Tal bis Nikkaluokta, einem kleinen Samidorf am Ende der Welt. Man nähert sich diesem Ende der Welt übrigens „von hinten“ an…

Auf der anderen Seite oberhalb der Flussebene befindet sich ein leicht hügeliges Land mit vielen grasbewachsenen Buckeln, die zwar etwas kleiner sind, aber durchaus an die Hobbithöhlen aus Herr der Ringe erinnern. Ein sehr idyllischer Ort, genauso ist dann auch die Aussicht von unserem Zeltplatz an der Singistugorna.


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# eine weitere Samisiedlung unten im Talgrund

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# Auenland?

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Eine letzte Herausforderung trennt uns noch von der Singihütte, die Brücke die den Bach überquert, der quer durch die Hüttenanlage fließt, ist noch nicht wieder hergerichtet worden. Aber da sie neben dem Bach lag, haben wir das kurzerhand übernommen und auch noch unsere erste Brücke gebaut ;-).


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# professionelle Werkzeuge zum Holzmachen. Die Birken sind aber ohne einen solchen Spalter auch nicht klein zu bekommen, das Holz ist extrem hart.

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...Fortsetzung folgt…


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BeitragVerfasst: So, 04.05.2014, 20:15 
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Registriert: Sa, 03.03.2007, 12:53
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Danke für die tollen Eindrücke.
Ich mag die Landschaft und die Stimmung dort - zumindest mag ich das was Dein Bericht vermittelt.
Die Schneeschmelze macht das Wandern dort offenbar ziemlich "spannend".


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